Vorbilder: Wer will ich sein?

GUIDO Eine von Euch! | Andrea Hacke, Juli 2019 | Unter der Überschrift „Wer will ich sein?“ führte die Redakteurin Andrea Hacke von GUIDO Magazin ein Interview mit mir zur Bedeutung von Vorbildern in heutiger Zeit. Sie erfahren dort auch, warum es wichtig ist, sich selbst die beste Freundin zu sein. Dieses Interview ist Teil der Titelstory des lifestyle-Magazins GUIDO vom Juli 2019: “Ich will so sein wie … ich”. Die Zeitschrift ermutigt ihre Leserinnen u.a. mit Beiträge von Frauen, die gelernt haben zu sich zu stehen, es ihnen gleich zu tun.

Für die Persönlichkeitsentwicklung sind Vorbilder wichtig. Doch irgendwann sollte sich jeder darauf konzentrieren, was ihn selbst ausmacht, so Psychologin und Karriereberaterin Brigitte Scheidt.

Sie bitten die Klienten in Ihrer Praxis in Berlin in der Regel darum, eigene Vorbilder zu benennen. Warum ist das so wichtig?
Wer sich darüber klar wird, wer ihn beeindruckt, kann erken­nen, was er bewusst oder unbewusst gern können möchte. Also: Wohin möchte ich mich entwickeln? Menschen werden groß, indem sie nacheifern. Kinder imitieren erst mal. Wenn wir älter werden, fangen wir an, uns bewusster auszusuchen, wem wir nacheifern wollen.

Im Teenageralter ist die Verehrung von Promis ja typisch. Früher gab es dazu den „Bravo“-Starschnitt, heute bieten die sozialen Medien eine große Projektionsfläche. Was hat sich durch Akteure wie etwa Kim Kardashian und die permanenten Posts von Influencern in der Gesellschaft verändert?
Die Medien sind heute omnipräsent, und das Gezeigte wirkt vor allem auf junge Mädchen oft wie ein Muss: Ich muss mich auch so zurechtmachen! Ich muss auch so aussehen! Deshalb machen Teenager zum Teil 100 Selfies, um dann eins davon zu posten. Sie wollen darauf nicht nur hübsch aussehen, das Bild muss auch noch außergewöhnlich sein. Um es mal auf die Spitze zu treiben: Dass sie dabei eine Schlucht herunterstürzen könnten, wird billigend in Kauf genommen.

Halten Sie das noch für eine normale Phase oder eher für besorgniserregend?
Es kann durchaus problematisch werden. Auf Instagram & Co. wird heute eine Welt abgebildet, die es so nicht gibt. Aber einige Teenager denken: Wenn ich nicht so bin wie auf dem geschönten Hochglanzbild, bin ich nichts wert. Je orientie­rungsloser jemand ist, umso anfälliger ist er für diese Verfüh­rung. Deshalb ist es so wichtig, dass Eltern vor der Pubertät den Selbstwert ihrer Kinder gefördert haben.

Im Laufe des Alters sollte sich ja irgendwann die Identitätssuche vom äußeren zum inneren Ich verändern und damit die Auswahl der Vorbilder. Dann geht es eher darum: Wer bin ich? Wofür stehe ich?
Das wäre wünschenswert, doch dem äußeren Druck der Medien setzen sich auch erstaunlich viele Erwachsene noch aus. Gucken Sie sich Facebook und so weiter an. Menschen neigen dazu, sich ständig zu vergleichen – gern zum eigenen Nachteil. Es fällt ihnen schwer, sich anzunehmen.

Was hat es für eine Konsequenz, wenn man sich zu sehr an Medien wie Facebook orientiert und dem, was andere als hip oder toll vorgeben?
Wer im Nachahmen steckenbleibt und immer versucht, es anderen recht zu machen, hat keine Möglichkeit, seine eigene Persönlichkeit auszubilden.

Was hilft dabei, sich selbst zu finden und immer mehr zu sich zu stehen?
Finden Sie heraus, was Ihr Eigenes ist, zum Beispiel was Ihnen gefällt und warum? Stellen Sie sich Fragen dazu. Und mein Haupttipp: Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl – das ist meist sehr clever und weiß, was Ihnen widerstrebt. Nehmen Sie das ernst. Und nehmen Sie vor allem sich selbst ernst!

Das, was Sie sagen, geht ja deutlich in Richtung Achtsamkeit. Ein Trend, der aktuell sehr stark zunimmt. Ist das die Gegenbewegung zur oberflächlichen Selbstvermarktung in den Medien?
Ja. Immer mehr Menschen stellen fest, dass dieses ständige Laute, dieses Extrovertierte, sich immer wie auf der Bühne zu verhalten, viel Kraft kostet. Bei der Menge an Oberfläch­lichkeit entsteht in vielen der Wunsch nach mehr Tiefe. Das Bedürfnis nach Orientierung in uns selbst ist groß.

Ich habe dazu mal den schönen Satz gelesen: „Be who you needed when you were younger“, also: Sei der Mensch, den du gebraucht hättest, als du jünger warst. Stimmen Sie dem zu?
Der Satz ist durchaus richtig. Oder auch: Sei dir selbst eine wirklich gute Freundin! Denn die ist wohlwollend und daran interessiert, dass es uns gut geht.

Erschienen in: guido-magazin.de