VUKA-Welten: bei beruflicher Neuorientierung und in Corona-Zeiten ist der produktive Umgang mit Unsicherheit gefragt

DGfK e.V., Karrierespot September 2020 | Brigitte Scheidt

Sicherlich hat der eine oder die andere während des Lockdowns sich Gedanken über seine bzw. ihre berufliche Situation gemacht. Was tue ich hier eigentlich und will ich das wirklich auch noch die nächstens 10, 20 oder mehr Jahre machen? Womit möchte ich meine Lebenszeit verbringen, was macht bzw. gibt mir Sinn in meiner Arbeit? Welche Tätigkeit, welche Aufgabe passt wirklich zu mir? Es sind typische Fragen, wenn es um berufliche Veränderung geht. Dieser Karrierespot dreht sich um typische Muster im Umgang mit unbekannten Herausforderungen und was es u.a. braucht, um eine berufliche Neuorientierung gut zu bewältigen. Wir alle erleben gerade kollektiv den Umgang mit einer unbekannten Herausforderung nämlich Corona. Meines Erachtens lohnt es diese näher zu betrachten.

Vom Gutem im Schlechten

Meine These lautet: Berufliche Neuorientierung und der Umgang mit der Corona-Pandemie haben viel gemein. Was kann man aus der Coronazeit (das „Schlechte“) für den Prozess einer wirklichen beruflichen Neuorientierung lernen. Unterstreichen möchte ich, dass Corona ein Beispiel ist, wie wir mit einer starken Veränderung unseres Lebens umgehen, wie mit einer unbekannten Herausforderung. Es geht hier nicht um die Krankheit selbst, noch um diejenigen die wirklich darunter leiden oder gelitten haben. Mein Grundverständnis ist, egal, was wir erleben, wir erleben auch immer uns im Umgang mit einer Situation. Wir können aus fast allem lernen, etwas mitnehmen, aufnehmen. Je fremder und je unbekannter eine solche Situation ist, um so mehr sind wir herausgefordert, um so mehr sind wir angehalten neue Wege zu finden, weil die alten nicht mehr greifen. Bei aller Anstrengung, es sind solche Situationen, die uns reifen lassen.

1. Neue Herausforderungen bringen (zwangsläufig) Lernprozesse in Gang

Corona hat die meisten von uns schwer irritiert, teilweise auch in eine Art Krise gebracht. Wir mussten uns u.a. von vertrauten Ritualen wie Händeschütteln und Umarmen verabschieden, wir tragen in vielen Situationen Masken, wir sind meist achtsamer im Umgang mit andern u.v.m. In beruflichen Kontexten wurde das Homeoffice normal und damit wurden und werden neue Arten des Zusammenarbeitens und der Führung notwendig. Auch Abläufe wurden verändert, man denke hier insbesondere an Krankenhäuser. Mit anderen Worten: neue Situationen erfordern neues Lernen und zwar sowohl hinsichtlich des Know-hows wie auch bezogen auf Haltungen und Person. So sollte ich als Führungskraft z.B. mein Mindset, meine Haltungen bezogen auf mein eigenes Führungsverständnis überprüfen, anpassen ggf. vollständig verändern, wenn die Bedingungen das erfordern. Vergleichbares gilt auch für Lehrer im Umgang mit digitalem Lernen. Solche Veränderungen fordern die Person selbst.

Ähnlich erfordert auch eine wirkliche berufliche Neuorientierung nach meinem Verständnis neben dem Erlernen von fachlichem Know-how auch einen persönlichen Entwicklungsprozess, in dem man sich z.B. von alten Selbstverständlichkeiten verabschiedet und Neues integriert und an dessen Ende eine neue berufliche Identität steht.

Wenn es wirklich darum geht, sich beruflich neu zu orientieren, hat man zunächst keine passenden Antworten, denn wir wissen in den wenigsten Fällen, wohin die Reise geht. Nichtwissen und Verunsicherung gehören in diesen Situationen dazu und sind notwendig, damit Neues Platz nehmen kann.

2. Auf Unbekanntes wird zunächst mit dem Rückgriff auf Vertrautes geantwortet

Sie erinnern sich, Corona, die Krankheit war zu Beginn ganz unbekannt, was u.a. bedeutete, man fokussierte auf Vertrautes. Das was man kannte, das wurde getan, bzw. ausprobiert. So wußte man zu Beginn nicht, dass die Krankheit auf nahezu alle Organe gehen kann. Die Behandlung vor allem der Lunge und das Beatmen stand folgerichtig im Mittelpunkt. Ähnlich verhielt es sich mit dem Übertragungsweg. Zunächst stand die Schmierinfektion im Vordergrund. Neue Erkenntnisse führten dann dazu, dass die Bedeutung der Aerosole erkannt wurde. Angesichts neuer Erkenntnisse änderten sich dann Abläufe, wie auch die Bedeutung einzelner Präventionsmaßnahmen. Beispielsweise wurde das Tragen von Masken wichtig.

Auf Vertrautes zurück zu greifen ist naheliegend und etwas ganz Normales. Entsprechend verhalten sich Menschen häufig auch zu Beginn einer Neuorientierung: Ich will etwas anderes, und es wird ganz schnell eine Lösung gesucht, in dem, was man kennt. Ich könnte X tun. Das „ja aber“ in Verbindung mit dem, warum das nicht geht, kommt dann meist schnell. Kommt Ihnen das bekannt vor? Mit dem eigenen bekannten Raster werden neue Möglichkeiten schnell als unmöglich (z. B. neues lernen, dauert zu lang, unrealistisch) verworfen. Es gilt neugierig zu sein, die eigenen Bedürfnisse als Kriterien ernst zu nehmen und genau zu prüfen und zu lernen, sich auch offen für Unerwartetes, bisher Fremdes, Unbekanntes zu machen. Wirklich neue Herausforderungen brauchen auch immer neue und damit ungewohnte Antworten. Wenn Sie Ihre Antwort für Ihre berufliche Neuorientierung schon hätten, würden Sie schließlich nicht suchen.

3. Die Welt ist unsicher, der Wunsch nach Orientierung und Regeln steigt.

Hier möchte ich einen kurzen Umweg über den Begriff VUKA machen. In den letzten Jahren wurde viel über die VUKA Welt geschrieben, wenn von einer Welt im Wandel die Rede war. Gemeint ist damit, dass die Arbeitswelt dadurch gekennzeichnet ist, dass sie volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig (Ambiguität) ist. Infolge greifen in vielen Situation daher Routinen und Regeln nicht mehr. Dies ist oft für die Beteiligten anstrengend und erfordert u.a. ein hohes Maß an Flexibilität und Bereitschaft von Führungskräften und Mitarbeitern, sich auf Korrekturschleifen einzulassen, denn es muss immer neu überprüft werden, ob der Weg stimmt. Man muss bereit sein sich und das eigene Wissen, die eigenen Meinungen auch immer wieder in Frage zu stellen.

Diese Art des Umgangs wurde und wird in Deutschland von Wissenschaft und Politik weitgehend auch in Sachen Corona eingesetzt. Dieses eigentlich wissenschaftliche Herangehen, Wissen sammeln, Hypothesen aufstellen, prüfen, nachschärfen und, und…. kann man auch als eine Art agilen Prozess betrachten. Ich kann gut verstehen, dass viele das auch hier als anstrengend erleben, wenn das was gestern richtig war, heute wieder anders betrachtet werden kann. Und es gibt viele die nach der einen schnellen Lösung schielen. Es müsse doch mal klar sein. Es könne doch nicht heute so und morgen so sein. Wo kämen wir da hin? Doch es gibt sie nicht. Die bisher eher nur im Management erfahrene VUKA- Welt ist durch Corona mit ihrer öffentlich wahrnehmbaren Unsicherheit und Uneindeutigkeit in der breiten Gesellschaft angekommen.

Es scheint mir von Vorteil, wenn wir anerkennen, dass wir in einer Welt leben, die in vieler Hinsicht komplex und mehrdeutig gesehen werden kann und muss. Wir können dann flexibel genug werden, um situativ zu reagieren. Es kann in komplexen Zusammenhängen, in durch wenig Wissen gekennzeichneten Situationen weder die eine Wahrheit, noch den einen Weg geben. Wenn wir uns bewusst sind, dass es Sicherheit nicht wirklich gibt und dass in unbekannten Situationen nur eine bedingte Orientierung möglich ist, werden wir wieder handlungsfähig. Wenn wir mit einer positiven Haltung des Nichtwissens die jeweilige Situation erkunden, fragen, untersuchen, können wir so unsere Handlungsfähigkeit unterstützen und uns Orientierung geben. Die Situation so zu verstehen und so mit ihr umzugehen lässt sich direkt auch auf eine berufliche Neuorientierung anwenden. Auch hier geht es um einen Prozess. Wir wissen nicht wo er genau hinführt und er ist meist auch mit Umwegen und Schleifen verbunden. Von einigen alten Gewissheiten werden wir uns verabschieden müssen

4. Jede(r) ist selbst gefragt – Das Richtige zu tun

Beim Lockdown, man mag dazu unterschiedlich stehen, gab/ gibt es noch klare Regeln. Dennoch und erst recht danach ist jeder weitgehend selbst gefragt. Was mache ich? Mit wem treffe ich mich? Auf wen nehme ich Rücksicht? Auf wen nicht? Usw. Jede(r) hat nun quasi seine/ihre private VUKA- Welt. Jede(r) muss lernen unter diesen Umständen zu agieren und möglichst auf Sicht zu fahren, im Falle von Corona täglich neu zu entscheiden. Je nach Sachlage geht es um Verantwortungsübernahme, Selbstfürsorge, Achtsamkeit mit sich und anderen, die eigenen Entscheidungen zu treffen, Grenzen setzen und zu diesen wie auch zu sich zu stehen. Nicht nur im Umgang mit Corona, sind diese und ähnliche Fähigkeiten und Haltungen gefragt. Um den eigenen berufliche Weg zu gehen, das Eigene zu finden, sind auch hier diese Fähigkeiten mit der Welt umzugehen, sofern nicht vorhanden, zu lernen und zu entwickeln. Im Grunde genommen könnte man auch eine wirkliche Neuorientierung als eine Art agilen Prozess betrachten. Es gibt meist ein eher grobes Ziel und immer wieder muss der Weg und die Art des Herangehens neu betrachtet werden. Umwege müssen gegangen und Schwierigkeiten bestanden werden. Das persönliche Lernen im Umgang mit und in dem Prozess erweist sich in der Regel als zentral für das Gelingen des Prozesses. Man gewinnt dabei an persönlicher Reife, mehr innere Freiheit, die Handlungsoptionen werden mehr, der Blick auf sich und die Welt verändert sich. Das kann Ihnen niemand mehr nehmen.

Meine Erfahrung sagt: Es lohnt sich.

Über die Autorin

Brigitte Scheidt ist Diplompsychologin und Psychotherapeutin und hat sich als Karriereberaterin auf berufliche Neuorientierung, den eigenen Weg finden, sowie auf entwicklungsorientiertes Coaching spezialisiert. Sie ist Mitglied der DGFK e.V.

Foto: © beasty / unsplash.com

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