Wie verhindere ich Ideenklau?

Eine gute Idee ist Gold wert – oft sogar wortwörlich. In dem Artikel “Wie verhindere ich Ideenklau?”, der am 07.05.2022 in der FAZ erschienen ist, erfahren Sie, worauf Sie achten sollten, damit Sie anderen nicht die Gelegenheit geben, sich mit Ihren Federn zu schmücken. So ist nicht immer ist es klug, sofort mit neuen Ideen herauszuplatzen oder unachtsam mit den eigenen Ideen umzugehen – gerade im beruflichen Umfeld. Weiterhin macht es einen Unterschied, wo man sich befindet: in einem Unternehmen mit starkem Team-Gedanken oder in einem Haifischbecken. Denn vor allem dort wo die Unternehmenskultur auf interne Konkurrenz und starken Erfolgsdruck ausgelegt ist, wird eine Tür für unmoralisches Verhalten seitens der Kollegen geöffnet. Manchmal muss man sich auch wehren, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Die Karriere-Expertin Brigitte Scheidt sagt: „Wenn ich mich immer in die zweite Reihe stelle, dann werde ich auch wie die zweite Reihe behandelt.“ Dazu gehört auch, Ideenklau offen und deutlich zu benennen und ggf. anzuprangern. Es kann jedoch auch durchaus sein, dass man feststellt, beruflich am falschen Ort zu sein und dass ein Jobwechsel, eine berufliche Neuorientierung, ansteht.

Manche Kollegen haben keine Skrupel, sich mit fremden Federn zu schmücken. Was im Ernstfall zu tun ist.

F.A.Z., 07.05.2022, Beruf und Chance | Ursula Kals

Hätte ich meine Idee mal lieber in der Schublade gelassen!” Mark ist Grafikdesigner. Er hat für eine Kampagne kreative Einfälle skizziert und achtlos auf dem Schreibtisch liegen lassen. Sein Kollege hat sich davon, wie er später sagen wird, “ein wenig inspirieren lassen”, lediglich Details verändert, das Ganze gescribbelt, um damit zum Chef zu eilen und Lob einzuheimsen. Harsche Worte gab es indes vom genarrten Mark. Doch der Ideendieb blieb uneinsichtig. Mark hingegen hat seine Lektion gelernt: “Passiert mir nie wieder. Ich lasse nur noch belanglose Papiere auf dem Schreibtisch liegen. Meinen Bildschirm sperre ich, sobald ich länger den Raum verlasse!”

Wettbewerbsorientierte Unternehmenskultur befördert unmoralisches Verhalten. “Das Unrechtsbewusstsein, sich mit fremden Federn zu schmücken, schwindet in einer Sharing Economy. Manche missverstehen das mit dem Teilen”, sagt Harald Ackerschott, Psychologe aus Bonn. “Eine Idee kann man schwer schützen. Patente gibt es immer nur für die Realisierung einer Idee.”

Eine Botschaft, die in der Gründerszene besonders üble Folgen hat, wenn nämlich Start-ups ihre Mitkonkurrenten aushorchen, um Produkte als Erste auf den Markt zu bringen. Ideenklau hat viele Facetten. Auch diese: Einer hat einen guten Einfall, trägt ihn vor, er versandet. Wenige Tage später referiert das ein anderer, und alle finden es plötzlich großartig. Warum das so ist, dafür gibt es mehrere Erklärungen: Der freche “Zweitverwerter” hat einen günstigeren Zeitpunkt abgepasst, trägt das selbstbewusster vor, hat ein anderes Renommee. Wie auch immer: Jemand schmückt sich mit dem geistigen Eigentum eines anderen. Das nachzuweisen ist herausfordernd. “Denn in den wenigsten Fällen wiederholen die Räuber die Idee einfach, sondern bauen für die Idee die Brücke”, sagt Ackerschott. “In Innovationskulturen, wo Ideen tatsächlich großzügig geteilt werden, ist das harmlos. In Systemen, wo ich für die Ausbeutung von anderen belohnt werde, werde ich gierig, auch wenn ich eigentlich ein guter Kerl bin.”

Was soll der Beklaute tun? Sich still vor sich hin ärgern? Sofort einschreiten und riskieren, als eitler Petzer dazustehen? Dem Dieb hinterher die Meinung geigen? Natürlich gibt es darauf keine pauschale Antwort. Aber eins dürfte klar sein: Wer sich einmal mit fremden Federn schmückt, der tut das auch ein zweites Mal. Dieser Mechanismus lässt sich früh fürs Berufsleben lernen, schon in der Schule.
Zum Beispiel an einem Gymnasium im Rheinland. Corona hat Klassen und Kurse entzweit, aber auch zusammengeschweißt. Über Nacht haben sich informelle Hausaufgabenhelferkreise gebildet. Im Schülerchat geht es geschäftsmäßig zu: Wer schickt mir Latein? Ich kapiere Physik nicht?! Man kennt sich, man hilft sich. Wenn es aber um Referate und arbeitsintensive Recherchen geht, brennen bei manchen die Sicherungen durch. Sie kupfern ab, kopieren Fotos, übernehmen wörtlich lange Passagen. Unverschämt! Die Einserkandidaten greifen zur Selbsthilfe, stellen die Diebe zur Rede, ernten Trotz und liefern den Trittbrettfahrern künftig nur noch Basiswissen.

Diese Strategie lässt sich für den Arbeitsalltag ein Stück weit abkupfern: Bei manchen Kollegen werden detaillierte Resultate zurückbehalten, bis die offizielle Präsentation ansteht. Einst gutgläubige Menschen wie Designer Mark rücken mit Geistesblitzen erst raus, wenn mindestens einer seiner Chefs zugegen ist. Grundsätzlich sorgfältig mit seinen Unterlagen umzugehen, wichtige Dinge nicht achtlos herumliegen zu lassen, relevante Vorschläge nicht wild durch die Gegend zu plappern – all das ist anzuraten, betont Brigitte Scheidt, Karriereberaterin aus Berlin. Sie rät, sich anzusehen, “wo Sie sich jeweils befinden”. Steht der Teamgedanke im Vordergrund, oder sind Sie in einem Haifischbecken mit Neidkultur? Falls Letzteres zutrifft, dann heißt es, auf der Hut zu sein. Psychologin Scheidt sagt: “In so einem Umfeld sollte man Ideen absichern, zum Beispiel durch kurze Protokolle oder – wie in der Wissenschaft üblich – durch Poster. So kann man klarmachen: Ich besetze die Idee.”

Wirtschaftspsychologe Ackerschott findet es schlau, nach einer Sitzung eine Mail an den Chef zu schicken: “Hinterlassen Sie Ihren Dreizeiler. Wer schreibt, der bleibt.” Außerdem: “Immer, wenn Sie etwas richtig Gutes haben, überlegen Sie: Ist bei meinem Gegenüber die Empfänglichkeit, die Offenheit, das zu hören, überhaupt da? Wenn nicht, warten Sie einen besseren Moment ab.” Nach Ackerschotts Einschätzung werden “geniale Ideen” selten in Sitzungen geäußert. “Chefs wollen vorbereitet sein auf Situationen. Wenn Sie eine originelle, lösungsorientierte Idee haben, warten Sie, bis das Treffen vorbei ist, gehen Sie hinterher zu den Mächtigsten und sagen: Was in der Sitzung war, hat in mir noch weitergearbeitet, da bin ich auf folgenden Gedanken gekommen.”

In vielen Unternehmen gibt es Regularien und Prozesse, wie man Vorschläge auf den Weg bringt. Das mag nerven, weil es bürokratischen Aufwand bedeutet, sorgt aber für mehr Transparenz und schützt vor Gedankendieben. Denn nicht immer steckt Berechnung und böse Absicht dahinter, wenn jemand die Ideen eines anderen aufgreift. Manchmal ist es einfach nur gedankenlos oder eine Gemeinschaftsleistung. “Zum Beispiel, wenn sich im Brainstorming eine Idee entwickelt und viele Kollegen Dinge äußern. Noch ist es vage formuliert. Einer greift es dann auf, trägt es kompakt vor, und zwei Wochen später kommt eine – zunächst verworfene – Idee gut an, weil sich die Situation bis dahin geändert hat”, skizziert Brigitte Scheidt. Nach dem Teamgespräch war nicht mehr klar, von wem der ursprüngliche Einfall stammte. Das ist dann nicht schlimm, Lorbeeren gibt es für alle. Zu unterstellen, dass Menschen das bösartig meinen, sei in diesen Fällen nicht angebracht. “Da muss ich mich selbstkritisch fragen: Ist das wirklich meine originäre Idee, die sonst niemand hat?”

Zu erleben, dass sich andere mit fremden Leistungen und unlauteren Mitteln in den Vordergrund spielen, widerfährt häufiger den Stillen im Büro, die von Selbstdarstellern überstrahlt werden. Oder den arglosen Anständigen, die gar nicht über die kriminelle Energie verfügen, sich Vorschläge anderer unter den Nagel zu reißen. Wird ihnen die Butter vom Brot genommen, scheuen sie häufig eine offene Auseinandersetzung. “Wenn ich mich immer in die zweite Reihe stelle, dann werde ich auch wie die zweite Reihe behandelt. Drauf zu warten, entdeckt und gefördert zu werden, kann man tun, aber die Erfahrung ist, dass das Berufsleben das nicht immer unterstützt”, warnt Brigitte Scheidt.

Es hilft also alles nichts: Auch Introvertierte sollten sich überwinden, Tat und Täter benennen, das geistige Eigentum für sich reklamieren und das Signal versenden: Das lasse ich nicht durchgehen und nicht mit mir machen. Jetzt nicht und in Zukunft auch nicht. Dieser Lerneffekt ist entscheidend, um freches Verhalten künftig auszubremsen: Der andere kapiert: Mit mir kann man das nicht machen. Es geht ums Abgrenzen und darum, dass niemand Grenzen überschreitet. “Das meint so etwas wie markieren, klarmachen: Das ist meine Idee. Ich möchte nicht mehr, dass das noch einmal vorkommt”, sagt Brigitte Scheidt. Damit das auch ernst genommen wird, schlägt sie vor, einen Ausgleich einzufordern, beispielsweise: “Ich finde, dafür könntest du eine Aufgabe für mich übernehmen.” Harald Ackerschott plädiert ebenso für eine Art Wiedergutmachung und improvisiert: “Hör mal, Gregor, wir müssen ein ernstes Gespräch führen. Ich habe vor drei Wochen einen Gedanken geäußert, du hast zu denen gehört, die den Kopf geschüttelt haben, jetzt kommst du damit um die Ecke. Mach mir einen Vorschlag . . .” Schweigt der Ertappte, sollte man kurz warten, nichts erklären, die Pause aussitzen und den Ball im Feld des anderen lassen, “bis er Ihnen einen Vorschlag macht, der für Sie gut ist”.

Wird eine Präsentation wirklich frech abgekupfert, ist es gut, das sofort vor versammelter Mannschaft klarzustellen. Die höfliche Vorstufe, Floskeln als Wink mit dem Zaunpfahl, “wie ich beim letzten Termin gesagt habe …” reichen in so einem Fall meist nicht aus. Pointierter ist diese Variante: “Das Thema habe ich schon bearbeitet, möchten Sie es sagen, oder soll ich es sagen?” Oder, so sagt Brigitte Scheidt, es kann noch schärfer formuliert werden: “‘Mit Verwunderung sehe ich, dass Sie meine Idee, meine Arbeit jetzt präsentieren!’ Ich entscheide mich also, für mich einzutreten, und mache den Konflikt offen, der andere ist hoffentlich ausgebremst.” Ein positives Ergebnis kann sein, dass der erste Ideenklau dann auch der letzte sein wird.

Relevant bei Plagiaten ist auch die Position im Team: Wenn der eine was sagt und der andere was sagt, ist das noch längst nicht das Gleiche. Um nicht in die Rolle des schlechten Verlierers zu kommen, sollte man vermeiden, sich vorwurfsvoll zu beschweren. Stattdessen mit Fakten argumentieren, insbesondere auch mit dem Hinweis, was die Folgen für die Zusammenarbeit oder für das Unternehmen sind. Eine Möglichkeit, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren, ist es, zu schauen, ob das auch anderen widerfährt, und dann gemeinschaftlich dagegen vorzugehen. Je mehr und je öfter Kollegen den Finger in die Wunde legen, desto mehr schwärt sie.

Sonst hilft nur ein Gang zum Chef oder zur Chefin mit der Bitte um ein vertrauensvolles Gespräch. Dann die Lage schildern, Reaktion abwarten, bei Bedarf auffordern, sich in die Situation zu versetzen, empfiehlt Scheidt. Aussichtslos ist eine Beschwerde in einem Arbeitsklima, das vom Konkurrenzdenken geprägt ist. Was wiederum in der Frage mündet, die nur jeder individuell beantworten kann: Möchte ich in einem Umfeld arbeiten, wo Ideenklau an der Tagesordnung ist und sich keiner mehr darüber aufregt?

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Erschienen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 07.05.2022. Von Ursula Krals. faz.net
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