Zur Sache: Schüchternheit – Kann man auch schüchtern erfolgreich sein?

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2006, Nr. 60, S. 55

Dominant, durchsetzungsfähig, kommunikativ, schnell, mit diesen und vielen anderen Eigenschaften sollte eine Führungskraft ausgestattet sein. Nur, was wenn mir das nicht so liegt? Was tun, wenn ich eher zurückhaltend, nachdenklich, ausgleichend usw. bin?

Es gibt Führungskräfte, die sind den anderen – scheinbar – immer einen Tick voraus. Sie sind dominant, selbstbewußt und schlagfertig. Ihre Leistung rücken sie ins rechte Licht, sie geben sich kämpferisch, und häufig setzen sie sich durch. So müßte man sein, oder? Was aber tun, wenn man aufgrund seines Naturells oder seiner Erziehung eher zurückhaltend, leise, verhalten, bescheiden oder schüchtern und oft weniger selbstbewußt auftritt?

Letzteres trifft auf viele fähige, kluge Menschen zu, die, von außen betrachtet durchaus erfolgreich sind. Manche haben jedoch Strategien entwickelt, sich selbst zu torpedieren. “Beliebte” Varianten sind folgende. Erstens: Die Betreffenden zweifeln an sich und unterstellen grundsätzlich, daß die anderen besser, klüger, schneller und ähnliches sind. Unabhängig von ihrer realen Leistung, empfinden sie sich selten als wirklich gut, relativieren also ihre Leistungen. Ein Hintergrund ist: Die Betreffenden kennen sich nicht wirklich, ihnen fehlen eigene Kriterien, um ihre Fähigkeiten einzuordnen. Zweitens: Sie wollen nicht schüchtern, zurückhaltend, vorsichtig und so weiter sein, sie wollen so sein, wie sie vermuten, daß die anderen sind. Ihr Maßstab ist die allseits propagierte omnipotente Führungskraft (fachlich versiert, dynamisch, kommunikativ, kreativ, aber mit Biß …). Damit verlangen sie in Teilen Unmögliches von sich. Das abgelehnte Verhalten ist nämlich Teil ihrer Persönlichkeit, und die können wir nicht per Beschluß ändern. Es ist wie mit der Augenfarbe: Wenn Sie blaue Augen haben, dann ist das eine Tatsache, gegen die anzugehen unsinnig ist. Wenn ich eher zurückhaltend oder schüchtern bin, dann gehört das unveränderlich zu mir. Nicht so sein zu wollen hieße dann nur: Sich selbst abzulehnen, nicht zu sich zu stehen. Durch solche Selbstabwertung erst machen wir uns unterlegen.

Wenn wir aufhören, gegen uns zu kämpfen, wird Energie frei, um herauszufinden, was die Vorteile, die Stärken unseres Verhaltens sind. Das Ergebnis könnte lauten: Genaues Beobachten, überlegtes Handeln, Teamplayer sein, Verständnis für andere Sichtweisen haben, über Charme verfügen, aufrichtig sein können. Auf einer solchen Selbstakzeptanz können wir unseren eigenen Führungsstil offensiv entwickeln, passend zu unserer Persönlichkeit, authentisch und erfolgreich.

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